Herzlich willkommen in der GdG St. Barbara Mechernich
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Als „Judenknecht“ beschimpft

Eine Schülerin der Gesamtschule Mechernich legt eine Rose an die Stolpersteine von Dr. Robert und Bertha David, die in der Bahnstraße lebten. Insgesamt acht Gedenksteine wurden jetzt in Mechernich verlegt. Foto: Ronald Larmann/pp/Agentur ProfiPress (c) Foto: Ronald Larmann/pp/Agentur ProfiPress
Datum:
Di. 15. Okt. 2024
Von:
Agnes Peters

Acht Stolpersteine für den Mechernicher Bäckermeister Andreas Girkens sowie die jüdischen Familien David und Herz verlegt – Ein beeindruckendes Beispiel für Zivilcourage und eine klare Haltung gegen das Unrecht des Nationalsozialismus’

 

Mechernich – Es ist Jom Kippur, Versöhnungstag, der höchste jüdische Feiertag. Wie passend, dass an genau diesem Tag in Mechernich acht Stolpersteine verlegt werden, die einerseits sieben jüdischen Opfern des Nationalsozialismus’ gewidmet sind und andererseits einem Mechernicher, der sich diesem Unrechtssystem entschieden entgegengestellt, der sich für seine jüdischen Freunde und Mitmenschen eingesetzt, der Zivilcourage gezeigt hat – und diesen Einsatz in der Außenstelle des KZ-Buchenwald in Köln-Deutz mit dem Leben bezahlt hat.

 

 

Die Rede ist von Bäckermeister Andreas Girkens, der ebenso wie die Familien Dr. Robert und Bertha David sowie Dr. Ernst und Alice David in der Mechernicher Bahnstraße gelebt und gearbeitet hat. Dort waren jetzt über 60 Menschen zusammengekommen, um der Stolperstein-Verlegung beizuwohnen. Darunter auch Schülerinnen und Schüler des Anti-Rassismus-Kurses der Gesamtschule Mechernich. Sie trugen die Geschichte des Mannes vor, der am 11. Oktober 1883 in Hostel geboren worden war.

 

 

Mutig widersetzt

 

 

„Er war ein Mann, der sich für seine Mitmenschen und das Geschehen um sich herum interessierte. Seine klare Haltung gegen den Nationalsozialismus

führte dazu, dass Andreas Girkens als ‚Judenknecht’ beschimpft und seine Familie denunziert wurde“, lasen sie vor. Trotzdem hatte er den Mut sich zu widersetzen. Er versorgte seine jüdischen Nachbarn und Freunde mit Essen, schleuste sie durch sein Haus zu den jüdischen Ärzten ins Nachbargebäude oder versteckte sie in seiner Bäckerei.

 

 

„Er zeigte Courage nicht nur dadurch, dass er mit Dr. Robert David und seiner jüdischen Familie eng befreundet war, sondern auch dadurch, dass er sich während der Reichspogromnacht gegen die NS-Schlägertrupps zur Wehr setzte und die jüdischen Menschen verteidigte“, trugen die Gesamtschüler weiter vor. Für Andreas Gicksen ein Einsatz mit Folgen. Denn seine Bäckerei wurde zerstört und er wurde zusammengeschlagen.

 

 

„Der Bürgermeister meldete diese Tat, doch versicherte auch, dass er diesen Überfall durch sein judenfreundliches Verhalten selbst verschuldet hat“, hieß es weiter im Vortrag. Von nun an wurde die Familie überwacht und ständig drangsaliert. Am 3. September 1944 wurde Andreas Girkens schließlich verhaftet und in die Außenstelle des KZ-Buchenwald gebracht, wo er aufs

Schlimmste misshandelt wurde. Am 03. Oktober 1944 starb er an den Folgen seiner Misshandlungen in Haft.

 

 

Er ist damit ein beeindruckendes Beispiel für Zivilcourage. Ein Thema, das auch Gisela Freier in ihrer Rede aufgriff. „Wir haben in diesem Jahr den 75. Jahrestag der Gründung der BRD gefeiert. Ich bin so alt wie die BRD, aufgewachsen mit dem Grundgesetz und dem Paragrafen 1: Die

Würde des Menschen ist unantastbar“, so die Akteurin des Arbeitskreises „Forschen-Gedenken-Handeln“, der sich seit Jahren für die Erinnerungskultur in Mechernich engagiert. 

 

 

Die Demokratie verteidigen

 

 

Der Satz beinhalte die Vision von einem Staat, in dem durch die Demokratie die Würde aller Menschen geachtet werde. „Ein Staat, in dem alle Bürger in Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit leben können, der Verfolgten Schutz gibt, in dem die Bürger in Frieden und einem gewissen Wohlstand leben können, in dem Niemand das Recht hat, sich über einen anderen zu stellen“, so Gisela Freier: „Bis vor kurzem war ich der festen Überzeugung, dass diese Vision unantastbar sei.“

 

 

Und genau darum ist das Engagement des Arbeitskreises „Forschen-Gedenken-Handeln“ so wichtig. Denn es hält die Erinnerung an die Gräueltaten des Nazi-Regimes wach und mahnt die Mitmenschen immer wieder dazu, wachsam zu sein, damit sich so etwas nie wiederholen kann. „Es sollte uns bewusst sein, dass die Demokratie, wie wir sie jetzt haben, die beste Staatsform ist, die wir je hatten. Wir sollten sie verteidigen“, appellierte Gisela Freier, die zuvor an Dr. Robert David, geboren 1865, erinnert hatte.

 

 

Er war verheiratet mit Bertha David, geb. Wolf aus Mechernich. Sie hatten zwei Kinder, Martha und Ernst. Der Arzt, der im Ersten Weltkrieg das Mechernicher Lazarett geleitet hatte, hatte auf der Bahnstraße eine ärztliche Praxis. „Er war ein beliebter Hausarzt, geachtet, befreundet mit der Bäckersfamilie Girkens“, so Gisela Freier. 1933 war Dr. Robert David 68 Jahre alt. Es sei davon auszugehen, dass er in der vom damaligen Bürgermeister und der SA aufgehetzten Stimmung keine ruhige Minute mehr gehabt habe. 

 

 

Nach dem Tod seiner Frau Bertha 1936 verschlechterte sich seine Gesundheit zusehends, in der Pogromnacht 1938 konnte er sich dennoch verstecken und wurde nicht gefunden. „Nach diesen furchtbaren Vorgängen war seine Gesundheit so angeschlagen, dass er hier nicht mehr alleine zu recht kam. Ab 1939 lebte Dr. Robert David in Köln in einem jüdischen Seniorenheim. Er verstarb am 9. Februar im jüdischen Krankenhaus in Köln und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Köln-Bocklemünd beerdigt“, berichtete Gisela Freier.

 

 

Deportiert und ermordet

 

 

Es war an ihrer Arbeitskreis-Mitstreiterin Elke Höver an Sohn Dr. Ernst und dessen Frau Alice David zu erinnern. „Dr. Ernst David war Zahnarzt mit einer Praxis hier in der Bahnstraße und einer Praxis in Köln. Nach der Pogromnacht wurde er am 10. November 1938 angeblich zur eigenen Sicherheit in Schutzhaft ins Polizeigefängnis Mechernich gebracht und von da aus in ein Konzentrationslager“, so Elke Höver. 

 

 

Im Dezember 1938 sei er zwar wieder freigekommen, er habe sich aber völlig verarmt in Köln-Ehrenfeld ein Zimmer mieten müssen. „Ungefähr drei Jahre später, am 30. Oktober 1941, wurden Dr. Ernst David und seine Frau Alice schließlich von Köln aus nach Lodz deportiert und von da aus weiter ins Vernichtungslager Kulmhof gebracht, wo sie im Mai 1942 ermordet wurden“, berichtete die Kommernerin.

 

 

Ihr Mitstreiter Rainer Schulz erinnerte an die Familie Herz, die auf der Heerstraße 85 gelebt hatte. Die Familie bestehend aus Max und Erna Herz, geb. David, sowie Tochter Hilde musste am 5. Mai 1941 ins Haus Riesa umziehen. „Das war das Mechernicher Judenhaus auf dem Gebiet der Gemeinde Kall“, so Rainer Schulz. Im Herbst 1941 wurde die Familie schließlich deportiert. Ihnen zum Gedenken werden ebenfalls Stolpersteine verlegt, die beim Rundgang gegen das Vergessen am 10. November gewürdigt werden.

 

 

„Mit den acht Stolpersteinen ehren wir Opfer der NS-Diktatur. Die Stadt Mechernich hat diese Steine initiiert und finanziert. Forschen-Gedenken-Handeln spricht hiermit Herrn Bürgermeister Dr. Schick und der Stadt Mechernich unseren großen Dank aus“, betonte Rainer Schulz stellvertretend für den Arbeitskreis.

 

 

Für dessen Engagement bedankte sich wiederum Mechernichs Bürgermeister. Er erinnerte daran, wie über Jahrhunderte die Menschen jüdischen und christlichen Glaubens friedlich in Mechernich zusammengelebt haben. „So friedlich, dass ein Zeitzeuge, der von Zülpich zum Bleiberg wanderte, sich darüber echauffierte, dass die Mechernicher zwar die Juden grüßten, die Protestanten aber nicht“, so Dr. Hans-Peter Schick.

 

 

„Wehret den Anfängen“

 

 

Ein Zustand, der mit der aufkeimenden Nazi-Ideologie rasend schnell kippte. Der Bürgermeister appellierte daher mit Blick auf die Wahlergebnisse im Osten an alle Anwesenden, sich zu engagieren und eben nicht tatenlos zuzuschauen. „Hitler wurde am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt. Er hat nicht mal anderthalb Monate benötigt, um die Demokratie abzuschaffen“, so Dr. Hans-Peter Schick. Daher mahnte er: „Wehret den Anfängen.“

 

 

Das konnte auch Leo Wolter nur unterstreichen. „Als jemand, der 1947 geboren wurde und von seiner Mutter, Jahrgang 1924, viel über diese schlimme Zeit auch in den Eifeldörfer erfahren hat, gibt es eigentlich nur einen Wunsch: Dass wir, unsere Kinder und unsere Enkel eine derartige Zeit nicht mehr erleben müssen“, so der Vize-Landrat des Kreises Euskirchen. Daher müsse man die Demokratie mit aller Macht verteidigen und alle demokratischen Parteien müssten vernünftig miteinander umgehen, damit das auch gelingt.

 

 

Vernünftig miteinander umgehen, das war auch der Antrieb des Mechernicher Bäckermeisters Andreas Girkens, der sich für seine jüdischen Mitmenschen eingesetzt hat und sich damit gegen die Spaltung der Gesellschaft gestellt hat. „Er war sehr häufig Thema bei uns in der Familie. Mein Vater hat viel davon erzählt“, berichtet Gabriele Wolters, geb. Girkens, die mit ihrem Sohn Jan aus Eschweiler zur Stolperstein-Verlegung gekommen war. Ihr Großvater war der Zwillingsbruder von Andreas Girkens, so dass sie ebenso wie Erika Körfer eine Großnichte des Mechernichers ist. Sie alle waren stolz, dass dem Verwandten, der sich so mutig für seine Mitmenschen eingesetzt hat, nun ein Stolperstein gewidmet ist. Erika Körfer: „Das ist schon eine große Ehre, die uns sehr nahe geht.“

 

 

pp/Agentur ProfiPress

 

 

 

 

 

 

8 Stolpersteine in Mechernich verlegt

Di. 15. Okt. 2024
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