Herzlich willkommen in der GdG St. Barbara Mechernich
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Von Nazis in den Tod gejagt

Der „Stolperstein“, den die Initiative JudiT.H („Geschichte der Juden im Tal, Hellenthal“) in Erinnerung an den von den Nazis schikanierten und schließlich zu Tode gehetzten Pfarrer Leonhard Maria Heinrich Bauer anbringen ließ. (c) Foto: Karl Reger/pp/Agentur ProfiPress
Datum:
Do. 5. Dez. 2024
Von:
Agnes Peters

Die einen halten Pfarrer Leonhard Maria Heinrich Bauer für einen Märtyrer, andere schlicht für einen Selbstmörder – Karl Reger setzt sich für Stolpersteine und für die weitere Anerkennung der Ermordeten, Verschleppten und zu Tode Getriebenen ein

Hellenthal/Mechernich – Der Mechernicher Pastor Johannes Harff war ebenso ein bekennender Gegner des Naziregimes wie Leonhard Bauer, der katholische Pastor von Hellenthal oder dessen evangelischer Amtsbruder Pfarrer Wilhelm Hermann. Alle drei und zahllose andere Geistliche aus Eifel und Börde fanden bislang kaum öffentliche Wertschätzung und Würdigung.

Eher durch Zufall entdeckte Karl Reger im „Gotteslob“, dem 2013 neu erschienen Gebetbuch, die Rubrik „Glaubenszeugen der NS-Zeit“. Bis zum Beginn des Gottesdienstes blieb ihm viel Zeit, in der er als historisch Interessierter das Kapitel durchschaute. Zu seiner Überraschung fand sich unter den „Glaubenszeugen“ der Hellenthaler Pfarrer Leonhard Maria Heinrich Bauer.

Als Nachgeborener und zum Kirchturmdenken erzogener Mensch war Reger dieser Pfarrer aus dem Zentralort und dessen Vita gänzlich unbekannt. Er nahm den Eintrag aber zum Anlass, um in den verschiedensten Archiven Leben und Schicksal des Pfarrers zu erforschen. Ihn irritierte jedoch, dass Pfarrer Bauer nicht im „Martyrologium des 20. und 21. Jahrhunderts“ von Prälat Prof. Dr. Helmut Moll aufgeführt wurde, obwohl er doch im Gebetbuch stand.

Reger sprach den Herausgeber der deutschen Ausgabe „Zeugen für Christus“ darauf an und erfuhr, dass „Selbstmörder“ kategorisch von der Möglichkeit eines Martyriums ausgeschlossen seien. „Die Angelegenheit“ sei sogar nach Rom zum Vatikan weitergeleitet worden. Angeblich wurde der Eintrag im Aachener Gebetbuch von Rom aus heftig gerügt, wo Prälat Moll anderthalb Jahrzehnte in der Glaubenskongregation zugebracht hatte.

Karl Reger jun., der unermüdliche Aktivist im Arbeitskreis JudiT.H („Geschichte der Juden im Tal, Hellenthal“), des Besucherbergwerks in Rescheid und des örtlichen Heimatvereins hat eine ganze Reihe Publikationen und Archivalien über Leonhard Bauers Leben und Leiden gesammelt und selbst über ihn publiziert. Auch hat sich der Neffe des verstorbenen Aachener Weihbischofs Karl Reger, an den Herausgeber von „Zeugen für Christus“ gewendet, um eine Aufnahme Bauers in die Liste der „modernen“ Märtyrer zu erwirken. Vergebens.

 


„Kein Selbstmörder und Alkoholiker“

 


Denn „Selbstmörder und Alkoholiker“, sagte Moll einmal in einem Interview mit der Aachener KirchenZeitung, hätten keine Chance, im Rahmen der von Papst Johannes Paul II. beauftragten Aufarbeitung zeitgenössischer heiliger Frauen und Männer aufgenommen zu werden, die ihr Leben für den christlichen Glauben aufgaben oder denen es geraubt wurde. Für Karl Reger ist der frühere Hellenthaler Pfarrer Leonhard Bauer hingegen ein Märtyrer.

Er schreibt: „Pfarrer Leo Bauer wurde ein Opfer des Nationalsozialismus nicht im Konzentrationslager oder Gefängnis, sondern in der täglichen, aufreibenden Auseinandersetzung mit den Machthabern der Partei in seiner Pfarrei, wo er jahrelang furchtlos für den Glauben und die Rechte der Kirche eintrat.“

Bauer durchlebte seit seinem Amtsantritt 1936 permanent die Schikanen des Hellenthaler Bürgermeisters sowie diffamierende Aufmärsche des Arbeitsdienstes und von Wehrmachtsangehörigen vor seiner Wohnung und sah sich konfrontiert mit Drohungen und Schmähungen. Es gab Verhöre vor Gestapo und Gericht, Haft und Ausweisung aus Rheinland und Westfalen. Nach einer schweren Depression nahm er sich nach einem Kurzbesuch in Hellenthal in Waldkirch bei Freiburg kurz nach Kriegsende schließlich das Leben.

Dr. August Brecher, geistlicher Studiendirektor und Autor zahlreicher Bücher und Schriften, schrieb schon 1998 in der KirchenZeitung für das Bistum Aachen: „Pfarrer Leo Bauer wurde ein Opfer des Nationalsozialismus. Die tägliche aufreibende Auseinandersetzung mit den Funktionären der Partei untergruben seine Gesundheit bis zum völligen Zusammenbruch.“

Am 3. Dezember 1893 in Aachen geboren, empfing Leo Bauer 1923 in Köln die Priesterweihe. Nach seelsorglicher Tätigkeit als Kaplan in Essen-Rellinghausen, Bonn-Kessenich (1928) und Aachen-Forst (1930) wurde er am 2. Oktober 1936 zum Pfarrer von St. Anna in Hellenthal ernannt und am 29. November eingeführt.

„Längst hatte der Nationalsozialismus entgegen den frühen Beteuerungen Hitlers den Kampf gegen die Kirche begonnen,“ so Brecher: „Die Gleichschaltung im Sinne der Partei war das Ziel des Ortsbürgermeisters Wilhelm Fischer. Auf Vorschlag eines Mitglieds des Kirchenvorstands wurde er zur Einführung eingeladen und nahm an Gottesdienst und Feier im Pfarrhaus teil.“

 


Pfarrer war kein Leisetreter

 


„Der neue Pfarrer war kein Leisetreter“, heißt es in der Aachener KirchenZeitung: „Vor Jugend und Erwachsenen nannte er die kirchenfeindlichen Maßnahmen beim Namen. So kam es bald zum Konflikt mit dem kirchenfeindlichen Bürgermeister.“ Die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ Pius' XI. vom 14. März 1937 wurde das Signal zum offenen Kirchenkampf. Als die Druckerei Metz in Aachen wegen des Drucks der Enzyklika geschlossen wurde, führte die Veröffentlichung eines Rundschreibens erstmals zum Verhör Pfarrer Bauers durch die Staatsanwaltschaft Aachen.

Neuer Streit entstand beim geplanten Bau eines Pfarrheims. Der eifrige Pfarrer hatte Jugend- und Elternabende eingeführt, für die jedoch entsprechende Räume fehlten. Die Hellenthaler Gemeindeverwaltung boykottierte und blockierte den für den Bau gegründeten Unterstützungsverein. Das Baugesuch wurde abschlägig beschieden.

Der Bürgermeister erstattete Anzeige gegen den Pfarrer, da die Gründung eines Sammelvereins seit 1934 verboten sei. Mit einer Pfarrer Bauer am 10. September 1937 beim Verhör auf dem Bürgermeisteramt zugestellten Verfügung löste der Landrat den Verein auf und verbot jede Neugründung in irgendeiner Form. Noch am gleichen Tag wurde das Sparkassenbuch des Sammelvereins beschlagnahmt. Vom Schriftführer wurde durch zwei Beamte der Polizei und Gestapo die Auslieferung noch vorhandener Schriftstücke sowie „geheimer Abmachungen“ gefordert.

Bischof Dr. Vogt legte gegen diese Maßnahmen Beschwerde ein. Bei einer Verhandlung vor dem Aachener Amtsgericht wurde Pfarrer Bauer freigesprochen. Das Guthaben des Sammelvereins musste zurückerstattet werden.Die Gestapo war damit aber auf Pfarrer Bauer aufmerksam geworden und behielt ihn im Auge, so Dr. August Brecher: „Bürgermeister Fischer suchte und fand neue Möglichkeiten, ihn mürbe zu machen.“

 


Wiederholt aufs Amt zitiert

 


Schon am 10. September 1937 wurde er durch Strafbefehl des Amtsgerichts Gemünd wegen Verstoßes gegen das Pressegesetz von 1934 zu einer Geldstrafe von 30 Reichsmark, ersatzweise drei Tagen Haft verurteilt.Sein Vergehen war, dass er eine mit seinem Namen versehene Druckschrift nicht mit seinem Wohnort versehen habe. Es handelte sich um einen im verschlossenen Umschlag versandten »Elternbrief«“.

Seine Wut über den Pfarrer, der nicht klein beigeben wollte, entlud der Bürgermeister laut August Brecher in vielen gehässigen Äußerungen bei Parteiversammlungen, besonders anlässlich der Volksmission im November 1937. Seine Anhänger folgten seinem Vorbild.

Als Pfarrer Bauer am 1. August 1937 wie allen Geistlichen die Unterrichtserlaubnis für die Volksschulen entzogen wurde, hatte er Glaubensstunden eingerichtet. Zum gleichen Termin wurde HJ-Dienst angesetzt. Wiederholt zitierte der Bürgermeister ihn auf das Amt, holte sich aber bei seinen Tiraden gegen den Glauben und Kirche manche Abfuhr. Der Pfarrer ließ sich nicht beirren.

Als das Wegkreuz Ecke Haupt- und Hüttenstraße zusammenstürzte, wurde es auf sein Betreiben trotz des Protestes von Nationalsozialisten neu aufgestellt. Als im Frühjahr 1938 bei Einführung der Gemeinschaftsschule die Kreuze aus den Klassen entfernt wurden, protestierte Pfarrer Bauer von der Kanzel und hielt am 23. April eine Sühneandacht. Er gab die beabsichtigte Anbringung einer „Sühnelampe“ am Missionskreuz vor der Kirche bekannt.

Fischers Antwort war, dass am Abend des 30. April Arbeitsmänner aus dem Reichsarbeitsdienstlager Hellenthal in den Garten des Pfarrhauses eindrangen und mit Pechfackeln gegen den Pfarrer demonstrierten. Ende April 1938 sowie am 12. Juni 1939 wurde das Brückenkreuz schwer beschädigt. Die Fronleichnamsprozession wurde in Hellenthal früher als in manchen Städten schon 1938 verboten, weil sie den Verkehr wegen der Arbeiten am Westwall behindere.

Erlaubt wurde nur ein Umzug um die Kirche und der sakramentale Segen an einem Altar an der Nordseite des Gotteshauses. Um bei der traditionellen Wallfahrt nach Heimbach keine Genehmigung des Bürgermeisters beantragen zu müssen, zogen die Pilger in kleinen Gruppen zum Bahnhof.

 


Randale am Pfarrhaus

 


Als im Sommer 1938 Unteroffiziere eines bei den Arbeiten am Westwall eingesetzten Pionierbataillons einen Kameradschaftsabend veranstalteten, zogen betrunkene Teilnehmer auf Veranlassung Fischers zum Pfarrhaus, das beschmutzt und verbarrikadiert wurde. Am folgenden Tag ließ der Kommandeur durch einen Oberleutnant das Verhalten seiner Leute entschuldigen.

Die Rädelsführer wurden nach Rückkehr in die Kaserne mit Arrest bestraft. Am 1. November 1938 verbot der Bürgermeister auch die hergebrachte Prozession zum Friedhof. Noch war Pfarrer Bauer Willens, nicht nachzugeben, wenn auch seine Kräfte versagten. Weihnachten 1939 erlitt er einen völligen körperlichen und seelischen Zusammenbruch.

Erst Ende Mai 1940 kehrte er noch in depressivem Zustand aus einem Sanatorium zurück. Nun holte der Bürgermeister zum letzten Schlag aus. Am 22. September 1941 wurde Bauer wegen Verbreitung von Schriften und Predigten von der Gestapo verhaftet und in die Aachener Strafanstalt überführt.

Mit der Entlassung am 13. Oktober war „wegen staatsabträglichen Verhaltens“ die Ausweisung aus Rheinland und Westfalen verbunden. Bauer ließ sich zum Verzicht auf die Pfarrstelle bewegen, um in Waldkirch im badischen Schwarzwald nach Kräften in der Seelsorge auszuhelfen.

„Mit Pfarrer Bauers Gesundheit war es weiter bergab gegangen“, so August Brecher: „Ende August 1945 kehrte er nach Aachen zurück. Seine beiden Schwestern fand er in einem Auffanglager. In Hellenthal waren Möbel, Hausrat und Bücher im Krieg zerstört worden. Er fand ein Unterkommen, weinte oft und sprach von seinem Tod. Ein Aachener Psychiater hielt wegen anhaltender Depressionen eine Suizidgefahr für naheliegend.“

 


Psychisch in die Enge getrieben

 


Er riet, Pfarrer Bauer nie allein zu lassen und plante eine Überweisung in eine psychiatrische Klinik. Brecher: „Als Pfarrer Bauer zwei Tage in seiner Wohnung allein war, setzte er, seiner selbst nicht mehr mächtig, seinem Leben selbst ein Ende, ein spätes Opfer des Kirchenkampfs. Sicher trug er für seinen Tod keine Verantwortung.“

Pfarrer Leo Bauer war einer der vielen Priester, die im zermürbenden täglichen Kleinkrieg gegen antikirchliche Maßnahmen und persönliche Angriffe ihren Mann standen. In den Kriegsjahren drohte bei allen Zusammenstößen mit der Gestapo die Einweisung nach Dachau. „Es war das Martyrium des Alltags, das seine Gesundheit untergrub und zu seinem frühen Tod führte“, so Brecher.

In seinem Bericht für die Aachener KirchenZeitung schreibt der Autor: „Märtyrer ist im heutigen Sprachgebrauch derjenige, der sein Leben für Christus, um der Wahrheit des christlichen Glaubens oder der Rechte der Kirche wegen, geopfert hat, gemäß dem Wort des heiligen Augustinus: »Es ist die Sache, die den Märtyrer macht, nicht das Erleiden des Todes allein.«“

In der täglichen Liturgie werden manche Bekenner der alten Kirche als Märtyrer verehrt, deren Tod die Folge jahrelanger Misshandlungen war. Karl Reger: „Sicher darf man in Pfarrer Leo Bauer einen vom NS-Regime planmäßig in den Tod getriebenen Märtyrer sehen.“

Der evangelische Hellenthaler Pfarrer Wilhelm Hermann übrigens, geboren 1902, erlangte bleibende Bedeutung durch sein Werk „Hirt und Herde“ zur Geschichte der evangelischen Christen in Hellenthal. Er stand für seinen Glauben in den Jahren der NS-Diktatur ein und verkündete öffentlich Kirchenaustritte, auch den des Bürgermeisters Wilhelm Fischer. 1937 verließ er die Kirchengemeinde aus Protest gegen die politische Ausrichtung des Hellenthaler Presbyteriums.

Die Initiative JudiT.H sorgte dafür, dass seit 2014  Stolpersteine in Hellenthal an Wilhelm Hermann und auch an den wehrhaften Märtyrer Leonhard Bauer erinnern. Eine Aufnahme in die Reihen der anerkannten Blutzeugen des 20. Jahrhunderts hält Karl Reger nach wie vor für angebracht.

Seinen Niederschlag fand Pfarrer Leonhard Heinrich Bauers tragisches Leben und Sterben übrigens in dem Buch „Hier war doch nichts“, das die „Ideenwerkstatt Waldkirch in der NS-Zeit“ realisiert hat. Ein Exemplar des Werkes überreichte in Anerkennung der guten Zusammenarbeit Roland Burkhart, Mitglied der Ideenwerkstatt, an Karl Reger vom Arbeitskreis JudiT.H „Der Beitrag beruht hauptsächlich auf unseren Recherchen“, machte Reger deutlich.

pp/Agentur ProfiPress

 

 

 

 

 

 

Von Nazis in den Tod gejagt

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