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Zum Tode von Christine Hiller (98) aus Kommern, die sich für die katholischen Frauen ebenso engagierte wie für den Arbeitskreis zur Aufarbeitung der Schicksale jüdischer Familien aus der heutigen Stadt Mechernich – Beisetzung mit Familie, Freunden, Weggefährtinnen und Mechernichs Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick
Mechernich-Kommern – Sie wurde am 19. November 1925 schon in Kommern geboren, verbrachte dort ihr ganzes Leben, immerhin 98 Jahre, und wurde nach Exequien in der örtlichen Pfarrkirche St. Severinus am Mittwoch auch auf dem Kommerner Friedhof beigesetzt. Und zwar neben ihrem Mann Werner Hiller, als langjähriger Redaktionsleiter des „Kölner Stadt-Anzeiger“ ebenfalls eine Person der Zeitgeschichte im Kreis Euskirchen.
Die Rede ist von einer Institution namens Christine Hiller, geborene Hein, der neben einer großen Schar von Familienangehörigen und Freunden auch Mechernichs Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick, Angehörige der einstigen Katholischen Frauen (kfd) Kommerns sowie Gisela Freier und Weggefährten aus der Arbeitsgruppe „Forschen, Gedenken, Handeln“ zur Aufarbeitung der jüdischen Vergangenheit an Blei- und Greesberg das letzte Geleit gaben.
Christine Hiller war am Karfreitag, 29. März, im hohen Alter von 98 Jahren verstorben. Mit ihrer resoluten und ebenso engagierten Persönlichkeit verbinden sich Erinnerungen an die inzwischen aufgelöste Frauenbewegung der katholischen Pfarrgemeinde St. Severinus, deren jahrzehntelange Vorsitzende und spätere Ehrenvorsitzende Christine Hiller war.
Die mit dem Redaktionsleiter Werner Hiller des „Kölner Stadt-Anzeiger“ verheiratete Kommernerin war mit ihrer Weggefährtin Adelheid Esser bereits am 15. Mai 1953 mit von der Partie, als die katholischen Frauen Kommerns auf Anregung des damaligen Pastors Karl Schäfer in einer Versammlung im Saal der Gaststätte Kreuder wiederbegründet wurden. Damit wurde der 1912 am Greesberg aus der Taufe gehobene „Zweigverein Commern des Katholischen Frauenbundes“ mit neuem Leben erfüllt.
24 Jahre lang kfd-Vorsitzende
Das 60jährige Neugründungsfest wurde vor zehn Jahren in der Kommerner Bürgerhalle groß gefeiert. Dabei standen die beiden Frauen im Mittelpunkt des Interesses, die die 60 Jahre als kfd-Mitglieder miterlebt hatten. Die Vorsitzende Margot Oberauner und der amtierende Präses, Pfarrer Burkhard Möller, bedankten sich bei Christine Hiller und Adelheid Esser, die im Wiedergründungsjahr eingetreten waren.
Die damals 88-jährige Ehrenvorsitzende Christine Hiller wurde 1974 zur stellvertretenden Vorsitzenden gewählt – damals als Repräsentantin der jüngeren kfd-Frauen. 24 Jahre war sie dann Vorsitzende der zeitweise fast 200 Mitglieder.
Christine Hiller war als Zeitzeugin auch gleich mit von der Partie, als die Mechernicher Hauptschullehrerin Gisela Freier sie vor 25 Jahren um Rat und Unterstützung für die damalige Arbeitsgruppe „Forschen, entdecken, erinnern“ der städtischen Hauptschule Mechernich bat, die sich die Aufarbeitung der Geschichte jüdischer Familien im heutigen Stadtgebiet Mechernich auf die Fahnen geschrieben hatte.
„Damals fragte mich ein Kommerner Junge, als wir gerade das Tagebuch der Anne Frank lasen, ob es in ihrem Dorf auch Juden gegeben habe. Ich sagte: »Das weiß ich doch nicht, ich bin doch nicht von hier, fragt Eure Eltern und Großeltern…«“ So wurde Gisela Freier auf Christine Hiller, eine Zeitzeugin und exzellente Kennerin der Kommerner Kriegs- und Vorkriegszeit aufmerksam.
Das Kommerner „Mädchen“ und der damalige Ortsvorsteher und Ratsfraktionsvorsitzende Johannes Ley, ebenfalls zeitlebens am Greesberg beheimatet, führten die Lehrerin und ihre Schüler damals zu den Häusern früherer Juden und zum jüdischen Friedhof von Kommern. So begann die systematische Erforschung der jüdischen Familien von Mechernich und Kommern und ihrer Schicksale.
Freundinnen geworden
Nach dem Ausscheiden Gisela Freiers aus dem Schuldienst und dem Ende der Hauptschule setzt die Projektgruppe „Forschen-Gedenken-Handeln“ um sie, ihren Mann Wolfgang Freier, Rainer Schulz und die aus Mechernich-Voißel stammende Euskirchener Marienschullehrerin Elke Höver mit Schülerinnen und Schülern die Arbeit fort.
„Obwohl Christine Hiller hätte meine Mutter sein können“, sagte Gisela Freier der Mechernicher Agentur ProfiPress, „sind wir im Laufe der Jahrzehnte Freundinnen geworden.“ Christine Hein, so ihr Mädchenname, sei unter jüdischen Nachbarn und mit jüdischen Freundinnen aufgewachsen. Sie habe ihren reichen Erinnerungs- und Erfahrungsschatz bereitwillig mit ihr und ihren Schülerinnen und Schülern geteilt.
Oft war Christine Hiller mit dabei, wenn Nachfahren früherer Kommerner Familien die Heimat ihrer im Holocaust umgekommenen Vorfahren besuchten, oder wenn Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig vor den Häusern ihrer früheren Bewohner eingelassen wurden. Zum 105. Geburtstag der vom Greesberg stammenden Lilly Clyne, geborene Kaufmann, reiste Christine Hiller mit Gisela und Wolfgang Freier nach London.
Christine Hein war im Ortskern von Kommern aufgewachsen, wo damals noch viele Juden lebten. „Das war nichts Besonderes, sie gehörten einfach zum dörflichen Leben dazu“, sagte sie der Agentur ProfiPress. Nach dem Krieg begab sich ihr Bruder, Johann Hein, auf die Suche nach den jüdischen Freunden und stellte die Verbindung zu Überlebenden aus Kommern in England, Amerika und Israel her. So kam auch der Kontakt zu Lilly Clyne zustande, der schließlich zur Verlegung der ersten Stolpersteine in Kommern im April 2005 führte.
Gerne Dialekt gesprochen
Christine Hiller erinnerte sich an viele Gespräche mit Lilly Clyne – immer auf Deutsch. „Sie sagte mir oft, wie gern sie mich in unserem Heimatdialekt sprechen hört“, so die 98-Jährige. Auch noch bei ihrem letzten Besuch in London unterhielten sie sich: „Sie sprach, als wäre sie nie aus Kommern weg gewesen.“
Die gemeinsame Arbeit von Christine Hiller, Gisela Freier und ihren Weggefährten geht über Christine Hillers Tod hinaus weiter, wenn am Sonntag, 5. Mai, um 14 Uhr vor dem Hof Hamacher in Hostel Stolpersteine zur Erinnerung an die einstigen Familien Kaufmann und Levano verlegt werden.
Die Beschäftigung mit der Geschichte als Teil der eigenen Identität sei ein Teil von Christine Hillers Leben gewesen, so Gisela Freier: „Wenn sie etwas für sich als richtig und wichtig erkannt hat, dann hat sie sich unglaublich dafür engagiert“.
Mit Lilly Clyne habe man gemeinsam eine Frau aus dem früheren Kommern getroffen, die nicht habe vergessen wollen, „aber der jüngeren Generation verzeiht“, so Gisela Freier am Tag der Beisetzung Christine Hillers: „Beide haben es uns leichter gemacht, die Erinnerung, die wir alle tragen müssen, zu schultern.“
pp/Agentur ProfiPress